Sonstiges- Die innovative Praxis, ein Beitrag von Dr. Veigel senior
Praxis als Vorreiter bei neuen
Entwicklungen
|
In den letzten Jahren kann man bei genauer Betrachtung und
Wertung einen erstaunlichen Trend innerhalb der Orthopädie, wahrscheinlich aber
auch auf anderen Gebieten der Medizin, feststellen: Viele aktuelle und
innovative Therapiekonzepte werden in der Praxis, beim niedergelassenen
Orthopäden, entwickelt; die für die Mehrzahl der Bevölkerung wichtigsten
Entwicklungen gehen von der Praxis aus und werden von dort, oft erst nach
heftigen Kämpfen, in die Klinik, in die Krankenhäuser,
übernommen
|
Umkehr der
Verältnisse
|
Das ist eine Umkehr der früheren Verhältnisse, als über
Generationen hinweg der Fortschritt der Medizin aus der Klinik, aus den Labors
und Forschungsstätten kam. Hier waren die notwendigen Gelder, die freien
Valenzen und die weiteren Recourcen vorhanden. Und das Management der Forschung
war noch viel einfacher, als ein Chef ohne Schwierigkeiten einen Kollegen für
die Forschung freistellen konnte.
|
Forschung
heute
|
Heute sind durch Sparzwänge, Bürokratismus und oft
kurzsichtige Verwaltungen die Freiheit des Forschens, aber auch die Power der
Forschung und das Vergnügen an der Forschung zu einem erheblichen Teil verloren
gegangen. Die Medizin ist heute ein Dienstleistungsbetrieb und (fast) nur das,
zumindest in Deutschland. Ein Robert Koch, ein Ignaz Semmelweis, ein Rudolf
Virchow oder ein Ferdinand Sauerbruch waren aber nie nur Dienstleister. Sie
konnten es sich leisten, über den Tellerrand hinauszusehen, ohne dass man sie
gleich mit einer Kosten-Nutzen-Analyse zurückgepfiffen
hätte.
|
Forschung in der
Praxis
|
In der Praxis ist die Situation kaum anders. Auch hier gibt
es erhebliche Zwänge zur Rationalisierung. Der niedergelassene Kollege hat aber
die Freiheit, seine Zeit und seine Interessen so einzuteilen, wie er selbst es
will und kann. Andererseits unterscheidet sich ein Arzt in der Praxis nicht
grundsätzlich von dem in der Klinik: Es gehört fast zum Ausbildungsprogramm, in
jedem Fall aber zum Charakter der meisten Mediziner, nicht „cool“ zu sein, sich
aber im besten Einstein’schen Sinn zu wundern und ganz naiv Fragen zu stellen.
Das Potenzial, den Dingen auf dem Grund zu gehen, ist also in der Praxis genau
so vorhanden wie in der Klinik - und es wird in den letzten Jahren in der Praxis
besser genutzt, eben weil wir hier die größeren Freiheiten haben.
|
Praxis
kreativer
|
Es gibt aber noch einen zweiten wichtigen Grund, weshalb
die Praxis heute kreativer ist als die Klinik: In der Praxis sitzen oft die
besseren Leute! Das hat mehrere Gründe, denen im Einzelnen hier nicht
nachgegangen werden kann. Einige sollen aber zur Erklärung durchaus aufgelistet
werden:
- Das in den
letzten Jahren geförderte und zahlenmäßig regelrecht explodierte ambulante
Operieren in der Praxis hat einen gewaltigen Schub in Richtung Innovation
gebracht (s.u..).
- Die
Niederlassungssperre hat viele Kollegen bewogen, noch kurz vor Toresschluß in
die Praxis zu gehen, bevor es vielleicht gar nicht mehr möglich war; dazu
beigetragen hat zweifelsohne die unsichere Situation in der Klinik, daß man
immer nur Zeitverträge bekam und deshalb nicht sicher war, ob man seine Familie
in den nächsten Jahren auch ernähren konnte.
- Aus diesen
beiden Gründen hat sich im Lauf nur weniger Jahre in der Praxis ein geistiger
Pool gebildet, in dem sich auch viele Kollegen wohlfühlen, die früher nie die
Klinik oder die Forschung verlassen hätten. Und diese Kollegen kommen jetzt mit
einer praktischen Medizin in Berührung, die auf eine optimale Effizienz
ausgerichtet ist, und überlegen, was sie früher in der Klinik gemacht haben und
ob das alles so richtig war.
Und da gibt es eine ganze Reihe von Fragen, wie z.B.
- was bringt eine
Wirbelsäulen-Fusions-Operation für einen Psychosomatiker (und die meisten dieser
Patienten sind das)?
- und was bringt
die Bandscheiben-Operation für einen Schmerz-Patienten, einen Patienten also,
der ein chronisches Schmerz-Syndrom entwickelt hat?
- was bringt
überhaupt eine Operation beim Fibromyalgie-Patienten (den man natürlich zuerst
einmal als Schmerz-Patient erkennen muß!)?
- oder: was
bringt die Operation eines Hallux valgus (Großzehe beim Spreizfuß), weil das
eine deutlich sichtbare Entstellung ist und dazu noch Schmerzen macht, wenn aber
das Gelenk noch gut beweglich ist? (Nach der Operation ist die Beweglichkeit
manchmal schlechter, und dann können die Patienten schlechter gehen als davor!)
- oder: was
bringt die Operation der fibularen Bänder mit der entsprechenden
Gips-Ruhigstellung, wenn die Ergebnisse mit einer Schiene und sofortiger
Belastung und Bewegung einfach viel besser sind? (Es gibt keine Arbeit seit 20
Jahren, die nicht zum gleichen Ergebnis käme!)
- oder: was
bringt es, eine Radiusfraktur 4 oder 6 Wochen ruhigzustellen und erst dann mit
einer Bewegungstherapie anzufangen?
- was bringen
überhaupt die langen Fixationen, mit denen offensichtlich das Röntgenbild, nicht
aber der Patient behandelt wird?
- oder: was soll
eine Operation oder eine lange Zwangslagerung eines Patienten (oft 6 Wochen!)
mit einer Wirbelfraktur, wenn man weiß, daß die Restfestigkeit des Wirbels
(natürlich in Abhängigkeit vom Alter des Patienten, der Art und dem Ort der
Fraktur) oft noch 70% oder mehr beträgt? (Ohne ärztliche Behandlung wäre der
Patient in den meisten Fällen viel besser dran, wenn er nur den Mut hätte, dem
Dogma einer einfach schädlichen Ruhigstellung zu widersprechen!)
- und was macht
es für einen Sinn, eine nicht oder kaum verschobene Fraktur oder eine
Bandzerrung zu fixieren, wenn man weiß, daß in den ersten 2 Wochen jeder Tag
einer Fixation eine 3-tägige Rehabilitation notwendig macht, also in 2 Wochen
schon 6 Wochen, und daß die Zeit der Rehabilitation exponentiell ansteigt, je
länger z.B. ein Gipsverband belassen wird? (Natürlich wird man schon wegen der
Schmerzen fixieren müssen, aber oft nicht mit starren Verbänden und viel kürzer
als meist üblich!)
- was soll
überhaupt eine Schonung bei Schmerzen, wenn man genau weiß, was verletzt ist und
wie das heilt - ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß unser Lebensprogramm vor 50000
Jahren geschrieben wurde und damals kein Mensch mit z.B. einer Distorsion länger
als einige Tage schonen konnte? (Nur der stärkste Schmerz der ersten Tage sollte
uns also zur Ruhe gemahnen! Der Schmerz ist als vorrangige Leitschiene für eine
Therapie nicht geeignet; besser ist es allemal, die biochemischen und
molekularen Vorgänge der Heilung zu kennen und sich danach auszurichten; und das
heißt oft, trotz der Schmerzen zu bewegen oder zu belasten, weil das der
Muskulatur und dem Kreislauf-System zu gute kommt - und einer Chronifizierung
der Schmerzen vorbeugt!)
- und, und, und
...
Es ist wirklich erstaunlich, was da alles (noch) läuft
..
|
Anstoß zur Innovation aus der
Praxis
|
Wir können und müssen feststellen, daß der Anstoß zur
Innovation in der letzten Zeit offensichtlich eher von der Praxis ausgeht und
immer weniger von der Klinik. Dies kann an zahlreichen Beispielen gezeigt
werden:
|
Fibromyalgie
|
1. Die Therapie der Schmerzkrankheit oder der Fibromyalgie
(kann synonym gebraucht werden) wurde in der letzten Zeit - aus der Praxis
heraus - revolutioniert. Federführend sind hier die IGOST, eine Vereinigung
zunächst nur niedergelassener Orthopäden aus dem Bodensee-Raum und eine
süddeutsche allgemeinarztliche Praxis. Natürlich haben Prof. Krämer in Bochum
und Andere, auch Forscher wie Prof. Zieglgänsberger in München, hervorragende
Vorarbeiten geleistet, Modelle entwickelt, um Schmerzen besser verstehen zu
können, Therapieformen entwickelt und das Thema Schmerz überhaupt ins Gespräch
gebracht. Aber die entscheidenden weiterführenden Gedanken kamen von den
Manualtherapeuten - fast ausschließlich niedergelassene Orthopäden oder
konservativ tätige Kliniker, die den Niedergelassenen schon immer näher standen
als der universitären Klinik - , von einzelnen Niedergelassenen, die sich über
den Zusammenhang von somatischen Beschwerden mit der Psyche Gedanken gemacht
hatten, und eben von der IGOST, vornehmlich von ihren
Gründungsmitgliedern.
Die aktuelle Sicht, die Schmerz-Syndrome als
Dekonditionierung der inhibitorischen Systeme zu erklären und sie auch so zu
behandeln, nämlich mit einer Aktivierung dieser Systeme und damit des Patienten
insgesamt, bringt in Theorie und Praxis weiter als die Ansätze über
Serotonin-Antagonisten. Mit der modernen Theorie lassen sich auch die
offensichtlichen psychischen Stigmatisierungen, die man immer wieder beobachten
kann, besser erklären. D.h., es ist nicht nur so, dass die Schmerzen zu einer
psychischen Alteration führen; das sicher. Aber die Psyche ist auch ein ganz
entscheidender Motor bei der Entwicklung einer Fibromyalgie. Und deshalb ist
auch klar, daß der ausschließlich somatische Ansatz der Therapie nicht zum Ziel
führen kann.
Nicht aus Rationierungsgründen, sondern wegen der ärztlichen
Ethik („nil nocere“!) sollte man diese Patienten nicht intensiv und nicht
stationär mit den alten somatischen Methoden einschließlich ausgedehnter und
wiederholter Operationen behandeln. Das Ergebnis ist für alle Beteiligten
frustrierend, wenn nicht verheerend, und stiftet nur neues Leid. Vielleicht
sollten die Ordinarien hier von ihrem Roß herunterkommen und den Praktiker zu
Hilfe rufen, der es gewohnt ist, den Patienten zu behandeln und nicht seine
unklare Krankheit. Wobei klargestellt sein soll, daß die Fibromyalgie eine
orthopädische Erkrankung ist und nicht zum Psychiater oder Internisten gehört.
Wir sollten durchaus professionelle Hilfe vom Psychiater oder Psychologen in
Anspruch nehmen, aber da der Patient seine Schmerzen in unser Fachgebiet legt,
sollten wir ihn auch so annehmen
|
Arthroskopie
|
2. Die meisten Knie-Operationen lassen sich genauso gut
ambulant - arthroskopisch - durchführen. Das Verfahren ist für den Patienten
schonender, kostet weniger und außerdem machen das meistens Kollegen, die sich
auf diese Eingriffe spezialisiert haben, die also auch operationstechnisch
absolut fit sind. Und dass der Meniscus gleich nach dem Eingriff weitgehend bis
voll belastet werden kann, wurde ausschließlich in der Praxis entdeckt und
weiterentwickelt.
Auch das postoperative Management ist nicht besonders
schwierig; auch dazu benötigt man kein klinisches Bett.
|
Weiterbildung
|
Natürlich ist bedauerlich, daß der junge Assistent dadurch
viel weniger Möglichkeiten hat, unser Fachgebiet umfassend in der Klinik zu
lernen. Er wird in Zukunft viele Fertigkeiten besser in der Praxis erwerben.
D.h., ein Teil der Weiterbildung sollte beim niedergelassenen Kollegen erfolgen,
nicht fakultativ wie heute, sondern obligatorisch. Und in Verbindung damit
sollten die Weiterbildungsermächtigungen für Niedergelassene großzügiger
gehandhabt werden; die Zeiten sollte man bei qualifizierten Kollegen erweitern
auf 2 oder gar 3 Jahre
|
Spezialisierung
|
3. Offensichtlich sind wir auf dem Weg dazu, daß sich die
Orthopädie noch mehr als bisher aufspaltet in eine klinische, operativ
ausgerichtete Medizin und eine praktische, konservativ ausgerichtete Medizin.
Das ist sicher einerseits bedauerlich, zeigt aber nur, dass es ab einer
bestimmten Qualität absolut notwendig ist, sich auf Weniges zu beschränken. So
wie es keinen Bauchchirurgen gibt, der auch mit Knochen und Gelenken gut umgehen
kann (genausowenig beherrscht ein Unfallchirurg eine Darmoperation), so ist auch
das Gebiet der Orthopädie bereits zu groß geworden, als dass man noch fit sein
könnte auf dem ganzen Fachgebiet.
Das heißt aber nicht, daß irgendeine
Spezialiserung besser wäre als eine andere! Früher war man gerne der Meinung,
daß in der Klinik der Geist, in der Praxis das Geld herrscht. Das hat sich aber
erheblich geändert dahingehend, dass das Geld heute überall eine limitierende
Rolle spielt, der Geist aber ubiquitär geworden ist - mit dem Unterschied, daß
sich die Niedergelassenen eher um die wesentlichen Dinge der Medizin
kümmern.
|
Prioritäten
|
So ist es sicher wesentlich wichtiger, sich mit den vielen
Patienten zu beschäftigen, die ein Schmerzsyndrom haben, als einige Jahre
intensiv die Neurofibromatose zu erforschen. Natürlich ist auch das wichtig,
aber die Mehrzahl unserer Patienten werden damit nie in Berührung kommen.
|
Schanz-Krawatte meist
Unsinn
|
4. Wenn man aber einsehen muss, daß eine Spezialisierung
notwendig ist und es für irgendwelche Überheblichkeiten keinen Platz gibt,
sollte man in der Klinik zunächst wahrnehmen, was heute in der Praxis passiert.
Und dann sollte man die Erkenntnisse möglichst rasch übernehmen ins
Alltags-Repertoire aller Ärzte!
|
Weniger
Bandscheiben- Operationen
|
- Dann kann man eigentlich kaum noch eine Halskrawatte nach HWS-Unfällen
verordnen. In der Praxis weiß man schon lange, daß das meist ein
kontraproduktiver Unsinn ist, der die Beschwerden nur
verlängert.
|
Das
wichtige IS-Gelenk
|
- Und man muß zur Kenntnis nehmen, daß nur die wenigsten
Bandscheibenvorfälle operiert werden sollten. Mit konservativen Methoden kommen
wir heute oft viel weiter als mit einer Operation - und vor allem länger
anhaltend.
|
evidence-based
medicine
|
- Vor allem muß man aber registrieren, daß die meisten Ischialgien nicht
von Bandscheiben-Veränderungen, sondern vom IS-Gelenk ausgelöst werden. Dann
sollte man aber auch etwas von diesem Gelenk verstehen, um z.B. einen
manualtherapeutischen Ansatz zu haben.
|
Der Patient im Mittelpunkt seiner
Gedanken
|
- Und man muß
feststellen, daß die üblichen Salbenverbände bei Distorsionen (fast) nichts
nützen, die alten Hausmittel (bei Hämatomen z.B. Spolera flüssig, bei
Reizzuständen und auch unklaren Schwellungen Retterspitz (früher
Essigsaure-Tonerde)) aber um so mehr. Das ist keine Barfuß-Medizin, sondern
evidence-based medicine!
|
Mit und nicht gegen sich
leben!
|
5. Auch die Erkenntnis, daß unsere Patienten sich immer
stärker selbst beobachten und egozentrisch wichtig nehmen, ihr Heil nicht mehr
in einer (staatstragenden und staatserhaltenden) Idee suchen, sondern sich
selbst im Mittelpunkt ihrer sorgenden Gedanken sehen, ist in der Praxis
gewachsen und kaum in der Klinik. Daraus resultiert aber, daß man einen nicht
schwer kranken Patienten (z.B. mit einer Lumbago, einer Ischialgie ohne
Nervenstörungen, einer Distorsion oder auch mit manchen Frakturen) am besten gar
nicht krank werden lässt, daß man ihm Bettruhe nur selten und erholsame Kuren
noch seltener verschreibt, daß man ihn aber so rasch und intensiv wie möglich
aktiviert
|
iatrogene
Schäden
|
(Die Diskrepanz zwischen unseren Altvorderen vor 50000
Jahren und einem heutigen Angestellten könnte größer nicht sein! (Fast) nur noch
die Mütter mit 3 Kindern und die Selbständigen leben so, wie sie programmiert
sind! Nämlich immer unter einem gewissen Druck, immer etwas in Stress, ohne
faule Haut, auf der man liegen könnte! Wenn man aber gegen sein eigenes Programm
lebt, sogar von einem Arzt noch dazu ermuntert, dann kann das nur schief
gehen!)
|
Frühest-Mobilisation
|
Es ist ja nicht sinnvoll, durch Bettruhe, einen Gips oder
das Anraten von Schonung erst einmal Muskulatur und Durchblutung kaputt zu
machen und das Gelenk zu versteifen (wie viele narbige Verkürzungen des Lig.
fibulotalare ant. in frontaler Richtung mit der Gefahr von gehäuften weiteren
Distorsionen haben Sie schon gesehen nach einer zu langen Schonung? Wenn nicht,
haben Sie noch zu wenig oder nicht genau genug untersucht!), um hinterher wieder
wochenlang mit Krankengymnastik, Fango etc. zu therapieren - wobei es nach
solchen iatrogenen Schäden oft keine restitutio ad integrum
gibt
|
z.B.
Radiusfraktur
|
Der Gedanke der Frühest-Mobilisation wird natürlich auch in
einigen Kliniken realisiert, aber viel zu selten. Auch in der Praxis werden oft
schlechte Behandlungen durchgeführt, weil die Kollegen zu wenig Ahnung von einer
modernen Unfallchirurgie haben. Aber die funktionelle Sicht der Dinge kommt
insgesamt schon aus der Praxis, auch wenn einige Kliniker zum Glück hier
mitziehen.
|
Zukunft
|
Wer in der Klinik kann schon akzeptieren, daß eine
Radiusfraktur mit Operation in den meisten Fällen auch nicht besser ausheilt als
bei konservativer Behandlung? Wer sieht schon, daß von der Reposition in der
Regel nach Abschluß der Behandlung nichts mehr übrig geblieben ist? Und wer
traut sich schon, eine solche Fraktur nur z.B. 2 Wochen einzugipsen und dann
schon aus der Schale üben zu lassen? Und wer traut sich, eine Grünholz-Fraktur
nur einige Tage wegen der Schmerzen zu fixieren und dann schon freizugeben, ohne
Röntgen-Kontrolle, weil die Fraktur sich sowieso nicht verschiebt und außerdem
im weiteren Wachstum in jedem Fall wieder normalisiert? Wer in der Klinik ist
schon bereit, seine Erfahrung durch die Erfahrung der Kollegen aus der Praxis
aufzuwerten, die viel intensiver mit diesen Fragen beschäftigt sind, um dann
auch anders, funktioneller, zu therapieren?
|
|
Die Liste könnte beliebig verlängert werden, durch Belege
von Gedankenlosigkeit, Voreingenommenheit (wie schwer hatte es z.B. anfangs
Prof. Graf, sich mit der genialen Säuglings-Sonographie durchzusetzen?), durch
vermeidbare Operationen oder einfach falsche Therapiekonzepte. Ich denke aber,
dass die Liste ausreicht, Mängel zu erkennen - und jetzt anzugehen, politisch am
besten wohl durch die angesprochene Verlängerung der - obligatorischen -
Ausbildung in der Praxis, daneben aber auch durch Seminare, wie sie in der
letzten Zeit immer häufiger angeboten werden, in denen Kliniker und Praktiker
die verschiedenen Möglichkeiten einer Therapie offen
diskutieren.
|
Qualitätskontrolle
|
Letzlich werden wir aber wohl nur mit einer
Qualitätskontrolle weiterkommen, bei der die notwendigen Daten automatisch bei
der Notation der Patientenakte in der elektronischen Karteikarte erfasst werden.
Die hervorragenden Ergebnisse der statistischen Auswertung bei der Behandlung
der Hüftdysplasie oder innerhalb der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen
(AO) (alle durch Kliniker durchgeführt!) zeigen in die richtige Richtung. Die
Vielzahl der anstehenden Fragen lässt sich aber heute nur noch mit einer EDV in
adäquater Weise lösen (allerdings gibt es erst ganz zaghafte Versuche, solche
EDV-Programme zu entwickeln und auf den Markt zu bringen).
Dabei muß man
natürlich die Klinik wie die Praxis erfassen und auswerten - damit wir wieder
lernen, unsere Erfahrungen auszutauschen, um eine bessere Medizin zu
machen
|
|